von Dominik Heling
Wir neigen dazu, in Kategorien zu denken und Menschen nach einem Merkmal, z.B. ihrer bevorzugten Fortbewegungsart, in Schubladen zu stecken. So wird häufig vom Konflikt zwischen „Radfahrer:innen“ und „Autofahrer:innen“ gesprochen, mit der Konsequenz, dass man sich scheinbar entscheiden muss, zu welcher Seite man selbst gehört. Entweder man ist „Radfahrer:in“ oder man ist „Autofahrer:in“. Die bevorzugte Fortbewegungsart wird schnell zur Identitätsfrage. Man gelangt in die eine oder andere Schublade. Die Kategorisierung erweckt die Illusion homogener Gruppen. Als ob Radfahrer:innen und Autofahrer:innen jeweils untereinander alle gleich wären. Die Gruppenzugehörigkeit wird durch Rituale und Insignien weiter gestärkt: Der Gebrauchsgegenstand PKW wird für „die Autofahrer:innen“ zum Statussymbol und neonfarbene Funktionskleidung für „die Radfahrer:innen“ zur Uniform. Hier wird die Diskussion über den Benzinpreis identitätsstiftend und dort ist es das Lamento über die wenigen Radwege. Der Graben zwischen beiden Gruppen scheint tief.
Nur – dieser Graben geht häufig mitten durch uns selbst. Aber es gibt nicht nur veranwortungslos rasende SUV-Fahrer:innen und nicht nur auf dem Gehweg heizende Rüpelradler:innen. Wir sind alle auch Freund, Mutter, Kollege, Briefmarkensammlerin, Rockstar und so vieles mehr. Wir wollen keine Identitätspolitik für eine Minderheit, für „echten Radfahrer:innen“, sondern eine Politik für alle. Damit alle besser Rad fahren können und das dann auch möglichst häufig tun.
Die Mehrheit der deutschen Haushalte besitzen sowohl ein Auto, als auch Fahrräder. Nur werden die Räder zu selten genutzt. Während die Hälfte der Deutschen täglich das Auto nutzt, nutzen nur 17 % täglich ihr Fahrrad. Dabei ist die Hälfte aller zurückgelegten Wege kürzer als vier Kilometer, also in gemütlicher Fahrradentfernung. Verkehrte Welt.
Die Verkehrswende braucht keine Identitätsänderung. Wir müssen nicht von „Autofahrer:innen“ zu „Radfahrer:innen“ mutieren. Eine Verhaltensänderung reicht aus: Wir alle sollten möglichst viel Fahrrad und möglichst wenig Auto fahren. Eine „Kultbildung“ innerhalb der Gruppe der Vielradler kann für diese Verhaltensänderung aber sogar hinderlich sein, da die Schwelle für den Umstieg vom Auto aufs Rad nur angehoben wird. Wenn die Voraussetzungen, um „echte Radfahrer:innen“ zu sein, ein Superfahrrad, teure Funktionskleidung, ein Helm, oder sogar, wie von manchen gefordert, zusätzlich ein Fahrradnummernschild und Fahrradführerschein sind, fängt man das Radfahren garnicht erst an.
Dabei sind die Voraussetzungen eigentlich nur ein Rad und ein Radweg. Fahrräder sind bereits in 78% der Haushalte vorhanden. Zusätzlich gibt es in vielen Städten Leihräder. An guten Radwegen mangelt es aber. Mit anderen Worten: Das Rad muss nicht neu erfunden werden, wir müssen es zum Rollen bringen! Für eine Verhaltensänderung hin zum Radfahren muss die Schwelle für den Umstieg gesenkt werden. Wie kann das besser geschehen, als dass man den Weg dafür bereitet – ganz konkret: den Radweg. Die Barrieren der Verkehrswende, wie z.B. lebensgefährliche Kreuzungen, müssen wir beseitigen. Darum wollen wir bessere Radwege. Darum wollen wir sichere Kreuzungen. Darum wollen wir durch eine bessere Fahrradinfrastruktur das Radfahren für Alle fördern.
Und wenn uns das gelingt, dann wird es in Duisdorf selbstverständlich mit dem Radl in die Stadt zu fietsen. Und in Beuel alltäglich, mit der Leeze zur Arbeit zu radeln. Dann wird es in Bad Godesberg üblich mit dem Bike nach Hause zu gurken. Und dann wird ganz Bonn für alle lebenswerter, kinderfreundlicher und klimagerechter.
Quelle für alle Zahlen: Mobilität in Deutschland; Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, 2019
Ein Kommentar
Ja, so ist es! Radfahren macht sicher nicht nur mir mehr Spaß, wenn die Bedingungen stimmen. In die City fahre ich nicht mit dem Auto. Warum im Stau stehen, wenn es anders geht. Auch heute Morgen zum Arzt war es besser mit dem Fahrrad. Nicht nur gesundheitlich. Ich brauchte keinen Parkplatz suchen. Und wenn mehr Verständnis und Achtsamkeit für die anderen Verkehrsteilnehmer:innen da ist, anstatt sie als Gegner zu sehen, dann klappt es sogar auf dem Bertha von Suttner-Platz! Aber es stimmt leider: eine gute Radwegeführung fehlt an vielen Stellen, während „die autogerechte Stadt“ vor 50 Jahren der letzte Schrei war. Menschengerecht sollte sie sein!