Ideen / Inspiration

Einbahnstraße bauen wie in San Sebastian

Ich war neulich in San Sebastian in Nordspanien und war erstaunt über die gut ausgebaute Fahrrad-Infrastruktur. Man hört immer wieder viel von Fahrrad-Vorzeigestädten wie Amsterdam, Utrecht, Kopenhagen oder Paris. Aber auch in vielen kleineren Städten hat sich in den letzten Jahrzehnten einiges hin zu einer besseren Verkehrsinfrastruktur bewegt. In diesem Post beschreibe ich meine Eindrücke aus San Sebastian an der baskischen Küste.

San Sebastian (oder Donostia, wie es auf baskisch heißt) hat gut 185.000 Einwohner. Es ist damit zwar kleiner als Bonn, hat aber aufgrund seiner geringeren Fläche eine etwas höhere Bevölkerungsdichte (3.000 zu 2.300 Einwohner/km²). Obwohl die Stadt am Meer liegt ist die Landschaft nicht flach. Die einzelnen Stadtteile sind durch Hügel voneinander getrennt.

Sichere Zweirichtungsradwege

Was bei einem Spaziergang durch die Stadt direkt auffällt sind die zahlreichen Zweirichtungsradwege, die hier das Mittel der Wahl zu sein scheinen. Ob in der Innenstadt, am Stadtrand in Wohn- und Gewerbegebieten oder an der Promenade – der Zweirichtungsradweg ist überall.

Viele dieser Radwege sind durch bauliche Trennung vom Autoverkehr getrennt und bieten Radfahrenden dadurch eine sichere Infrastruktur. Besonders beeindruckt hat mich die bauliche Trennung an der Strandpromenade. Dort wurde auf sehr wenig Platz durch ein Metallgeländer eine bauliche Trennung realisiert, die Radfahrende schützt und Autofahrende am Parken auf dem Radweg hindert.

An der Promenade wurde anscheinend der Straßenraum von ehemals vier Autospuren neu aufgeteilt. Das ist durchaus bemerkenswert, da diese Straße die Hauptverbindung zwischen zwei Stadtteilen darstellt. Eine Spur wurde zum Zweirichtungsradweg, eine weitere wurde zur Verbreiterung des Gehweges verwendet.

Die gleiche bauliche Trennung durch platzsparende Metallgeländer findet sich auch anderswo in der Stadt, hier z.B. auf einer Brücke über Fluss und Bahngleise.

In der Innenstadt bieten sich solche Geländer aufgrund von Einfahrten und dem Bedürfnis von Zuflussgehenden, die Straße zu überqueren, eher nicht an. Dort fahren Autos auch mit geringeren Geschwindigkeiten, so dass weniger massive bauliche Trennungen ausreichen sollten. Auch dies geht sehr platzsparend.

Bei dieser Trennung hatte ich zuerst Bedenken, dass Autofahrernde einfach drüberfahren und auf dem Radweg parken würden. Gesehen habe ich das in meinen vier Tagen in der Stadt allerdings nicht. Ob das eventuell an hohen Strafen oder zahlreichen Kontrollen liegt kann ich nicht sagen.

Als weitere Alternative der baulichen Trennung finden sich Poller, wie im folgenden Bild zu sehen. Bemerkenswert: Die Poller stehen direkt am Rand der Autospur. Das ist meines Wissens in Deutschland aufgrund der autozentrierten Rechtslage z.Zt. gar nicht möglich, wäre aber wünschenswert, da dadurch gute Radwege auch bei engen Platzverhältnissen möglich werden.

Auf diesem Foto ist auch schön zu sehen, wie der Radweg an der Ampel in einer Kurve über die Autospuren geführt wird – und nicht in einem 90-Grad-Winkel.

Auffallend an den Radwegen in San Sebastian ist, dass sie wirklich ein Netz bilden. Alle Ziele in der Stadt sind erreichbar. Wie ernst die Stadt das Thema Radverkehr nimmt, merkt man auch daran, dass vor ein paar Jahren ein alter Bahntunnel zum Radtunnel umgebaut wurde.

Ausreichend Fahrrad-Parkplätze

Gute Radwege alleine machen allerdings noch keine gute Radinfrastruktur. Es braucht auch Abstellmöglichkeiten. Und die gibt es in San Sebastian reichlich. Auf dem folgenden Foto sieht man Fahrradbügel vorne links, in der Mitte und hinten rechts. Ähnlich wie auf diesem Bild sieht es in der ganzen Stadt aus. Der nächste Fahrradbügel ist nie weit.

Zum Einsatz kommen hier oft Metallbügel in Vierergruppen, die einfach auf das Pflaster oder den Asphalt aufmontiert werden. Das geht wahrscheinlich schnell und unkompliziert. 

Gerade im Bereich Fahrradparken hat sich in Bonn bisher zu wenig getan. Die Fahrradbügel in San Sebastian zeigen, mit welch einfachen Mitteln hier große Effekte erzielt werden können. Einfach in jeder Bonner Straße solch ein Vierergestell im Boden zu befestigen würde bereits vieles verändern – gibt es in den meisten Bonner Straßen doch bisher überhaupt keine Parkmöglichkeiten für Radfahrende.

Auch in Bezug auf sichere Abstellmöglichkeiten wurde ich in San Sebastian fündig:

kleines Fahrradparkhaus San Sebastian

Dieses Fahrradparkhaus steht am Rande des Zentrums auf ehemaligen Reisebusparkplätzen. Auch hier handelt es sich wieder um eine recht einfache und damit schnell umsetzbare Lösung. Der vorhandene Asphalt reichte als Untergrund offensichtlich aus. Komplexer Hochbau über mehrere Stockwerke wurde vermieden.

Nicht in San Sebastian aber ebenfalls in Nordspanien – genauer gesagt in Santander – habe ich diese kleinere Variante gesehen:

Diese Parkhäuser bieten zwar nur ca. zehn Rädern Platz, passen dafür aber auf einen PKW-Stellplatz. Gerade für Anwohnerradparken in Bonner Wohngebieten kann ich mir solche Parkhäuser gut vorstellen. Die bei der Neugestaltung der Endenicher Allee aufgestellten und sofort durch die Anwohner belegten Radbügel zeigen, dass ein Bedarf existiert. Durch solche Radparkhäuser könnte die Stadt den Bonnern sichere Abstellmöglichkeiten bieten.

Fahrradverleihsystem

Wie auch Bonn verfügt Santander über ein Fahrradverleihsystem, im Gegensatz zum Bonner Nextbike-System allerdings mit festen Stationen.

Mietfahrräder San Sebastian

Was mir hier auffiel: An den Stationen waren immer zumindest einige wenige Räder verfügbar. In Bonn gibt es ja eine Mischung aus Free-Float und Stationen. Zumindest die Stationen in meiner Umgebung sind immer leer. Auch im Free-Float finde ich in Endenich nur selten ein nahes Rad. Vielleicht ist es in Bonn an der Zeit, die Nextbike-Flotte aufzustocken? 

Straßenübergreifende Verkehrsplanung

Nun folgt der Punkt, der mich am meisten beeindruckt hat und aus dem sich für mich am meisten für Bonn ableiten lässt: Einbahnstraßen.

Fast alle Straßen im Zentrum von San Sebastian sind trotz mehrerer Fahrspuren Einbahnstraßen. Oft gibt es eine Spur für Autos, eine für Busse & Taxis sowie einen Zweirichtungsradweg (der so breit ist wie eine Autospur).

Daran wird deutlich, wie viel Platz da ist, wenn man nicht nur einzelne Straßen betrachtet, sondern ganze Gebiete. In San Sebastian hat man offensichtlich den Autoverkehr in jeweils eine Richtung herausgenommen und in benachbarte Straßen mit gegenläufigen Einbahnstraßen verlagert. Dadurch entstand Platz. Dies gelingt aber nur, wenn man nicht nur solitär eine einzelne Straße betrachtet.

Möglich werden dann sogar Abbiegespuren für den Radverkehr, wie das folgende Bild zeigt:

Es ist erstaunlich zu sehen, wie viel Platz auf einer normal breiten Straße verteilt werden kann, wenn der Autoverkehr nur in eine Richtung fährt. Zusätzlich sei gesagt: In den Straßen des Zentrums von San Sebastian finden sich in nur wenigen Straßen Autoparkstreifen am Straßenrand. Es existieren Tiefgaragen (wie auch in Bonn). Auch dies schafft Platz.

Im Bonner Zentrum ist der Einbahnstraßen-Ansatz eher schwierig, da durch die Fußgängerzone nur wenige parallele Straßen um das Zentrum herum verlaufen. In den zentrumsnahen Stadtteilen finden sich aber schnell Bereiche, die von einem solchen Ansatz profitieren könnten:

  • In Castell verlaufen die Kölnstraße und die Römerstraße parallel und werden durch mehrere für den Autoverkehr eher untergeordnete Straßen verbunden. Wandelt man diese Verbindungsstraßen in Einbahnstraßen für den Autoverkehr um, so ergibt sich Platz für einen Lückenschluss im Fahrradnetz zwischen Altstadt und Rhein, z.B. im Rosental.
  • In Endenich verlaufen die Alfred-Bucherer-Straße und die Sebastianstraße/Magdalenenstraße über mehrere hundert Meter parallel. Wandelt man diese in gegenläufige Einbahnstraßen für den Autoverkehr um, so kann z.B. auf der vom Radverkehr viel befahrenen Sebastianstraße Platz für einen sicheren Radweg entstehen. (Für den Busverkehr müsste wohl ein Teil der Alfred-Bucherer-Straße in beide Richtungen offen bleiben.) 

Diese zwei Beispiele fallen mir ein, da ich die genannten Gebiete gut kenne. Sicherlich gibt es noch viele andere Bereiche, in denen eine Betrachtung ganzer Gebiete zu besseren Lösungen für den Radverkehr führen kann als eine solitäre Betrachtung einer einzelnen Straße. Gerade in Anbetracht des in Bonn immer wieder aufkommenden Platz-Argumentes – man erinnere sich an den kürzlich beschlossen Umbau der Kölnstraße mit schlechter Radinfrastruktur – kann eine Loslösung von der Betrachtung nur einzelner Straßen eventuell ein guter Ansatz sein.

Fazit

Nach vier Tagen in San Sebastian muss ich sagen: Ich bin beeindruckt! Ein gutes Radwegenetz, gute Parkmöglichkeiten und eine konsequente Neuaufteilung des öffentlichen Raumes haben eine fahrradfreundliche Stadt entstehen lassen. Die Stadt ist ein gutes Beispiel dafür, dass es mehr positive Ausnahmen gibt als die paar großen Leuchtturm-Städte des Radverkehrs wie Amsterdam und Kopenhagen. Und Bonn kann von San Sebastian lernen, z.B. wie man auf beengten Platzverhältnissen gute Radinfrastruktur schafft.

geschrieben von Martin P.

2 Kommentare

  • Karin Langer sagt:

    Eigentlich ist alles so offensichtlich, aber in Anbetracht der vielen „Aus-Prinzip-Zweifler: innen“ ist es hilfreich, auf Erfolgsmodelle verweisen zu können.

  • Thomas Eß. sagt:

    Klasse Praxisverweis! Vielen Dank! Auch ich plädiere schon lange für eine Neuverteilung und Einführung von Einbahnstraßen für LKW/PKW.

    In Duisdorf verlaufen die Rochusstraße und der Schiffelingsweg ebenfalls über mehrere hundert Meter parallel. Sie sind prädestiniert in gegenläufige Einbahnstraßen für LKW/PKW umgewandelt zu werden. Wegen Baumaßnahmen ist die Rochusstraße derzeit eine Einbahnstraße. Das ist ein Beweis, dass es funktioniert. Es fehlt nur der Wille.

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