Umsetzung

Frust über Fahrradstraßen oder: Warum es andere Strukturen in der Verwaltung braucht

Die Stadt Bonn teilt mit, dass 2023 keine Fahrradstraßen mehr markiert werden. Dabei war das Thema im Sommer mit Hochdruck durch die Politik getrieben worden. Wir glauben, dass es andere Verwaltungsstrukturen braucht, um die Ziele des Radentscheids wirklich umzusetzen.

Es gibt Momente, in denen sich unsere Liebe zur Fuß- und Fahrradstadt Bonn mit Frustration mischt. Alle, die den Transparenzbericht zum Radentscheid im Mai 2023 gelesen haben, konnten sich über den Ausblick freuen. Hier sollten 30 km zusätzliche Radverkehrsanlagen und Fahrradstraßen markiert und gebaut werden. Doch während wir mit Spannung auf diese Meilensteine gewartet haben, kam vor wenigen Tagen die Nachricht der Stadt, es soll 2023 wieder nichts werden.

Umsetzungsgrafik radentscheid Bonn

Quelle: Transparenzbericht Bundesstadt Bonn aus Mai 2023

Das Wetter?

Laut städtischer Pressemeldung musste die Markierung der Fahrradstraßen aufgrund der aktuellen Witterung auf April 2024 verschoben werden. Wir fragen uns: Welche Temperaturen haben die Projektverantwortlichen im Oktober 2023 erwartet? Immerhin war vor allem der September und die erste Hälfte des Oktober deutlich wärmer als üblich.. 

Nach unserer Einschätzung hat die Verwaltung es versäumt, die Markierungsarbeiten rechtzeitig zu beauftragen. Nach dem politischen Beschluss am 13. Juni 2023 dauerte es bis zum 10. August 2023, bis die Ausschreibung zur Markierung der Fahrradstraßen veröffentlicht wurde. Also fast zwei Monate. 

Die Verwaltung hat mit Hochdruck vor den Sommerferien eines der zentralen Fahrradprojekte in 2023 in den Rat gebracht, um noch rechtzeitig vor der kalten Jahreszeit Markierungen durchführen zu können. Wieso wurde die Ausschreibung dann erst Mitte August veröffentlicht? Uns drängt sich der Eindruck auf, dass die Abstimmung zwischen den beteiligten Ämtern und Mitarbeitenden nicht funktioniert hat.

Die Frist zur Einreichung von Angeboten für die Firmen endete am 05. September. Bis die Angebote ausgewertet wurden und der Vertrag unterschrieben war, war es augenscheinlich zu spät. Mitte Oktober meldete die beauftragte Firma, dass es jetzt leider zu kalt sei.​

Die Stadt muss die gefassten Beschlüsse zu den Fahrradstraßen jetzt umsetzen und Veränderung auf die Straße bringen.

Im jetzt angekündigten Umsetzungszeitraum von April bis August 2024 stehen nun fünf Monate zur Verfügung, um 44 Fahrradstraßen gebündelt zu markieren – das entspricht immerhin etwa neun Fahrradstraßen pro Monat. Wenn wir von einer regnerischen Woche pro Monat ausgehen, in der jeweils keine Markierung stattfindet, sind das drei Fahrradstraßen pro Woche. Ist das machbar oder werden wir nächstes Jahr wieder enttäuscht?

Bedenkt man Straßensperrungen sowie notwendige Abstimmungen mit der Polizei, Abschleppunternehmen und dem ÖPNV-Betrieb, wird klar: Eine erneute Verzögerung ist auch in 2024 zu erwarten.

Wir fordern die Stadt auf, alle rechtlichen und praktischen Möglichkeiten auszuloten und mit der Markierung und Beschilderung der Fahrradstraßen noch dieses Jahr zu beginnen.

Für uns bleiben einige Fragen offen und wir glauben, dass die Stadt durchaus Spielraum hat, noch in 2023 zu beginnen. Bei welcher Witterung sind Markierungen ausgeschlossen? Warum ist die Markierung auf dem Hermann-Wandersleb-Ring bei 10 Grad und feuchtem, regnerischem Wetter im Oktober möglich und die der Fahrradstraßen nicht? Welche Leistungsfristen wurden mit der beauftragten Firma vereinbart? Kann auf die Gewährleistung bei den Markierungen, die bei grenzwertiger Witterung stattfinden, verzichtet werden? Gibt es Vertragsstrafen bei Leistungsverzug? Können die Beschilderung und die Radabstellanlagen in einigen Straßen vorgezogen werden? In welcher Reihenfolge soll die Markierung der 44 Fahrradstraßen erfolgen? 

Wie kommt es zu den Abstimmungsproblemen zwischen den Ämtern?

Neben den offenen Fragen zu einem eventuell doch möglichen Umsetzungsstart in 2023 bleibt die Frage, wie sich das Thema so verzögern konnte. Hierauf gibt es sicherlich keine einfache Antwort. Aber das Fahrradstraßenthema ist nur eine von vielen Verzögerungen, die wir nicht weiter hinnehmen wollen und können. Wir müssen daher etwas tiefer in die Verwaltungsstruktur der Stadt Bonn einsteigen. Werfen wir einen Blick auf das aktuelle Organigramm. Zentrale Aufgaben und Verantwortlichkeiten mit Bezug zur Mobilitätswende sind auf vier Dezernate verteilt. Als Frau Dörner ihr Amt als Oberbürgermeisterin im November 2020 antrat, hatte sie sicherlich gute Gründe, den Zuschnitt der Dezernate nicht zu verändern und kein Mobilitätsdezernat zu schaffen, sondern lediglich einen neuen Geschäftsbereich für die strategische Programmsteuerung in ihrem Dezernat aufzubauen. Unserer Meinung nach zeigt sich mittlerweile, dass diese Struktur nicht ausreicht, die Mobilitätswende wirklich voranzutreiben. Eine Stabsstelle alleine scheint nicht ausreichend zu sein, die Eigenverantwortung und den Projektfortgang in der Linie zu initiieren und zu fördern. [Fußnote: siehe hierzu auch Tagesspiegel Standpunkt, Jörg Niemann, „Warum Kommunen ein Mobilitätsamt brauchen“, April 2023, URL: https://background.tagesspiegel.de/mobilitaet/warum-kommunen-ein-mobilitaetsamt-brauchen]

Abstimmungsprozess innerhalb der Stadtverwaltung bei Beschlüssen des Stadtrats mit Mobilitätsbezug

Verwaltungs Pingpong in Bonn

Darstellung Radentscheid Bonn, Organigramm der Stadt Bonn

Wir glauben, die Strukturen und die Prozesse sind bis heute nicht auf die vielen von der Politik beschlossenen Veränderungen ausgelegt. Schauen wir uns das Problem der vier nebeneinanderstehenden Dezernate an einem fiktiven Beispiel an.[1] Wenn es Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Stadtplanungsamt [2] oder dem Tiefbauamt [3] auf der einen Seite und dem Sachgebiet Verkehrslenkung [4] (Teil von Amt 33, Bürgerdienste) oder dem Referat Vergabedienste auf der anderen Seite gibt, wird zwischen den Beteiligten Mitarbeiter:innen erstmal Ping-Pong gespielt. Wenn diese nicht auf Arbeitsebene oder Amtsleiterebene gelöst werden können, müssen der Beigeordnete Herr Wiesner und der Stadtdirektor Herr Fuchs oder die Stadtkämmerin Frau Heidler sich hiermit beschäftigen. Dazu müssen sie zuerst von den Mitarbeitenden informiert werden und dann auch Zeit hierfür finden. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass vermeintlich kleinere Themen, die am Ende aber zu größeren Verzögerungen führen, nie die Dezernatsleitungsebene erreichen. 
Wir sind der Meinung, dass ein Mobilitätsreferat, das die Aufgaben mit Bezug zur Mobilitätswende bei einer Dezernentin / einem Dezernenten bündeln würde, Reibungsverluste und Abstimmungsschleifen verringern könnte. Dazu braucht es die ämterübergreifende Projektsteuerung, um die Abläufe zu koordinieren. Das Recht zu einer solchen Umstrukturierung liegt laut Gemeindeordnung NRW im Wesentlichen bei der Oberbürgermeisterin. Städte wie Frankfurt, Bielefeld, Aachen oder Siegburg haben sich für eigenständige Mobilitätsreferate entschieden. Wir glauben, das könnte auch in Bonn helfen. [Quelle: https://openjur.de/u/2202043.html]

Wir fordern die Überprüfung der Organisationsstrukturen im Hinblick auf die Umsetzung der Radentscheidsbeschlüsse

Ein Mobilitätsreferat kann sicherlich nicht automatisch bestehende Personalengpässe lösen und es ist nicht die einzige Möglichkeit, die Zusammenarbeit zu verbessern. Aber es kann aus unserer Sicht bestehende Abstimmungsschleifen überflüssig machen oder merklich beschleunigen. Es könnte sicherstellen, dass es eine durchgängige Projektleitung über alle Planungs- und Umsetzungsschritte gibt. Zudem würde es wahrscheinlich das Informationsmanagement mit einem schnelleren Zugriff auf alle relevante Informationen vereinfachen. 

Wir erleben, dass es eine Vielzahl von sehr motivierten und qualifizierten Mitarbeitenden in der Bonner Stadtverwaltung gibt, die alle ihr Bestes geben. Diese Mitarbeitenden brauchen Organisationsstrukturen, die sie in ihrer inhaltlichen Arbeit unterstützen. Es erscheint uns aber so, dass momentan die Umsetzung des Radentscheids durch umständliche Abstimmungswege und durch die Belastung mit anderen Aufgaben verzögert wird. Dies ist auch kürzlich im Städtevergleich der Agora Verkehrswende deutlich geworden.

Anteile der Arbeitszeit von Radverkehrsplaner:innen für verschiedene Aufgaben 

Arbeitszeitanteil Verwaltung

Wir fordern von der Stadt eine Überprüfung, was bei der Umsetzung der Fahrradstraßen und anderer Mobilitätsmaßnahmen zu den Verzögerungen geführt hat. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen fordern wir, die notwendigen strukturellen Veränderungen vorzunehmen, damit die Umsetzung der Maßnahmen besser und schneller funktioniert und die Fahrradstraßen sowie die vielen anderen Maßnahmen im beschlossenen Umfang umgesetzt werden. Die von der Stadt beschlossenen Ziele des Radentscheids sind unseres Erachtens ansonsten auch 2024 nicht zu erreichen.


[1] Wir haben keine internen Informationen, warum die Fahrradstraßen so spät ausgeschrieben wurden, sondern skizzieren den Prozess nur beispielhaft.

[2] Das Stadtplanungsamt ist für die Bezirks- und Ortsteilplanung sowie Entwicklungsmaßnahmen, Mobilität und Verkehr, Planungsrecht und Stadtentwicklung zuständig. Das Stadtplanungsamt hat nach unserem Verständnis die Gesamtverantwortung für die Umsetzung von Straßenbaumaßnahmen und muss daher über sehr viele Prozesse den Überblick behalten. Leider gibt es auf der Website der Stadt keine Aufgabenbeschreibung für das Stadtplanungsamt.

[3] Der Aufgabenbereich des Tiefbauamtes erstreckt sich auf den Neubau und die Unterhaltung der städtischen Verkehrsanlagen und der Stadtentwässerung. […] Außerdem koordiniert das Amt alle Baustellen im öffentlichen Straßenbereich. Das Tiefbauamt besteht im Wesentlichen aus Bauingenieur:innen.

[4] Das Sachgebiet Verkehrslenkung nimmt die Aufgaben der Straßenverkehrsbehörde wahr. Dazu gehört in Bonn auch die Anordnung von Verkehrszeichen und Markierungen im öffentlichen Straßenraum. 

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