Umsetzung

EINE Klage stoppt ALLE Fahrradstraßen – muss das so sein?

Nach jahrelangem Planungsprozess sollten in diesem Jahr endlich 20 km Fahrradstraßen umgesetzt werden. Die Klage eines Anwohners gegen eine Fahrradstraße und die schlechte Begründung in der Klageerwiderung des Anwaltsbüro bringt die Stadt dazu, die Umsetzung komplett zu stoppen. Wieso akzeptiert die Politik das und wie geht es jetzt weiter?

Viele Bonner:innen haben mitbekommen, dass kürzlich die Klage eines Anwohners gegen die Einrichtung der Fahrradstraße „Auf den Steinen“ in einem Eilverfahren zu einem Urteil gegen die Stadtverwaltung geführt hat. Dabei kritisierte das Gericht vorwiegend die Begründung für die Anordnung der Fahrradstraße. Die gewählten Argumente der Sicherheit für Radfahrende wurden nicht mit den geforderten Nachweisen hinterlegt. Leider ist unser Straßenverkehrsrecht so, dass eine Einschränkung des motorisierten Verkehrs nur in einem sehr engen Rahmen erfolgen kann. Wenn über eine Gefährdung von Verkehrsteilnehmern argumentiert wird, muss diese nachgewiesen und alle Alternativen müssen abgewogen werden. Erst dann ist eine Verkehrseinschränkung wie z.B. die Fahrradstraße zulässig. Das ist in einer Nebenstraße wie in Ückesdorf schwer nachweisbar, wenn nicht schon mehrere Radfahrende bei Unfällen zu Schaden gekommen sind. Da hat das Gericht wohl Recht.

Aber ganz so exklusiv auf den Autoverkehr fokussiert ist unser Straßenverkehrsrecht nicht mehr. Es gibt auch die Möglichkeit, Fahrradstraßen dort anzulegen, wo erwartet wird, dass das Fahrrad zum vorwiegenden Verkehrsmittel wird. Dies ist in unseren Augen der Sinn der Fahrradrouten. Gute, sicher zu befahrende und intuitiv zu findende, durchgehende Fahrradrouten werden den Radverkehr bündeln und andere Strecken entlasten. Wenn die Stadtverwaltung nicht nur beliebige Stücke des umfassenden, 2023 beschlossenen Radnetzes ausbauen würde, sondern sich Strecke für Strecke durcharbeiten und Durchgängigkeit erzeugen würde, wäre diese Effekt auch erleb- und nachweisbar. Auch wenn die Straße „Auf den Steinen“ eine Wohnstraße mit wenig Autoverkehr (und damit wenig Gefährdung) ist, ist sie doch Teil der wichtigen Ückesdorfer Schulroute, an deren Strecke unter anderem zwei kooperierende Schulen liegen und Schüler*innen stundenweise von Ückesdorf zum Hardtberg wechseln müssen.

21.000 Unterschriften für durchgängige Radrouten. 1 Klage für den Parkplatz vor der Haustüre.

Als weitere Option lassen sich auch Gründe der Stadtentwicklung anführen, um die Fahrradstraßen zu begründen. Das schreibt sogar das Gericht in seiner Pressemeldung: „Soweit dem Grunde nach die Anordnung einer Fahrradstraße zur Unterstützung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung getroffen werden könnte, um gemeindliche Verkehrskonzepte zu fördern, hat die Stadt Bonn ihre Entscheidung hierauf nicht gestützt.“ Das klingt nach einem wesentlichen Fehler, der der Stadtverwaltung (Stadtplanungsamt und Straßenverkehrsbehörde) und dem beratenden, externen Anwaltsbüro unterlaufen zu sein scheint. Für die Umsetzung des Radentscheids und den Ausbau von Fahrradrouten in Bonn ist das eine schlechte Nachricht.

Auf das Urteil zur Fahrradstraße „Auf den Steinen“ erfolgte ein komplettes Moratorium für die Umsetzung der neuen Fahrradstraßen. Die einzelne Klage eines Anwohners, dem es in unseren Augen vorwiegend um den öffentlichen Parkplatz für das private Auto geht, hat somit einen gesamtstädtisch wichtigen Prozess gestoppt. Einen Prozess, der durch 28.000 Unterschriften für den Radentscheid und einen Ratsbeschluss mit einer Stimmenmehrheit von über 80 % initiiert wurde. Wir verstehen das nicht. Wir gehen davon aus, dass die Verwaltung fundiert gearbeitet hat, die Fahrradstraßen im Prinzip dem geltenden Recht entsprechen und man sie auch so begründen kann. Warum akzeptiert die Politik dieses Moratorium in einem Prozess, der schon im Vorfeld großen Verzögerungen unterlegen war?

Die Anordnung der Fahrradstraße „Auf den Steinen“ ist zurückgenommen worden. Jetzt müssen die Möglichkeiten einer neuen Anordnung geprüft werden und mit den geforderten Abwägungen und Begründungen hinterlegt werden. Denn das Gericht sagt auch. „Der Antragsgegnerin (Stadt Bonn, Anm. d.V.) bleibt grundsätzlich die Möglichkeit, den Sachverhalt umfangreicher zu ermitteln und unter Abwägung der widerstreitenden Interessen eine neue verkehrsrechtliche Anordnung zu erlassen.“ Ziel muss also sein, zu einer gerichtsfesten Neuanordnung der Fahrradstraße „Auf den Steinen“ zu kommen. Das gleiche muss dann für alle neuen Fahrradstraßen einzeln überprüft und ggf. geändert, neu angeordnet werden. Ein mühsamer Weg, den unser Verkehrsrecht fordert, denn „Das Schutzgut der Ordnung des Verkehrs bezieht sich auf einen Zustand, in dem die Leichtigkeit und Flüssigkeit des fließenden wie ruhenden Verkehrs gewährleistet ist.“ (Zitat aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts Köln). Verkehr bezieht sich dabei auf den Autoverkehr. Andere Verkehrsarten stehen dahinter zurück. 28.000 Unterschriften für ein durchgängiges Radwegenetz in Bonn sind kein Argument, um dieses Schutzgut minimal einzuschränken.

Wir fordern, dass die Verwaltung jetzt Kompetenz und Rückgrat zeigt, aus dem Fehler lernt und in einem zügigen Prozess die Neuanordnung der Fahrradstraßen realisiert. Wir wissen, wie lange es dauert, eine Firma zu finden, die die Markierungen durchführt. Daher darf jetzt keine Zeit verloren werden. Wetterbedingt müssen die Markierungsarbeiten im Winterhalbjahr ruhen. Aber sobald das Frühjahr kommt, müssen die Arbeiten wieder aufgenommen werden, um die beschlossenen Strecken endlich zu realisieren.

Parallel dazu liegt eine zweite Klage gegen eine der neuen Fahrradstraßen, diesmal zur Rheinaustraße, beim Gericht. Hier geht es nicht um ein Eilverfahren, sondern die Rechtmäßigkeit wird in einem Hauptverfahren geklärt. Dies wird etliche Monate dauern. Auch die Anordnung dieser Straße muss jetzt mit den geforderten Abwägungen und Argumenten hinterlegt werden, um im Prozess nicht wieder zu unterliegen.

Das Gericht hatte zudem angemerkt, dass es die roten Seitenlinie in den Fahrradstraßen für eine rechtswidrige verkehrsrechtliche Anordnung hält. Dieses Gestaltungselement ist aber scheinbar gar nicht angeordnet. Es handelt sich nur um ein Mittel, um den Charakter der Straße zu betonen, das keine rechtliche Verbindlichkeit für die Nutzer hat. Von Seiten des Verkehrsministeriums NRW kam die Unterstützung für diese Markierung. In dem zwischenzeitlich veröffentlichen „Leitfaden Fahrradstraßen“ der AGFS (Arbeitsgemeinschaft fußgänger- und fahrradfreundlicher Städte, Gemeinden und Kreise in NRW e. V.) wird eine gestrichelte rote Randlinie empfohlen. Auch hier könnte die Verwaltung in unseren Augen den beschlossenen Gestaltungsstandard auf die rote, gestrichelte Randlinie ändern und neu beschließen lassen. Auch das würde weitere Fahrradstraßen weniger angreifbar machen.

Die Handlungsfähigkeit unsere Verwaltung und politischen Führung ist ein wichtiges Gut in unserer Demokratie. Wir dürfen sie nicht durch Einsprüche Einzelner zu sehr einschränken. Daher ist in unseren Augen jetzt weiteres, überlegtes und zügiges Handeln unabdingbar. Zu oft scheitern Projekt, die im Sinne des Gemeinwohls sind, an den Individualinteressen kleiner Gruppen oder Einzelner. In diesem Fall darf und muss das nicht so sein.

geschrieben von Steffen

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