Umsetzung

Offener Brief an die Ratsfraktion von Bündnis 90 / Die Grünen in Bonn

Im Projekt "Uni trifft City" soll der Straßenzug zwischen Uni Hauptgebäude und Fußgängerzone neu gestaltet werden. Entgegen ihrer eigenen Beschlüsse will die Grüne Ratsfraktion auf dieser Strecke den Radentscheid nicht umsetzen. Dies war zumindest das Ergebnis der Fraktionssitzung vom 23.01.23. Gemeinsam mit dem ADFC und unterstützt von Parents4Future Bonn und dem Verkehrsclub Deutschland e.V. fordern wir die Grünen Ratsmitglieder in diesem offenen Brief auf, die Entscheidung rückgängig zu machen.

 Liebe Mitglieder der Grünen Ratsfraktion, sehr geehrte Damen und Herren, 

Sie haben mit der Annahme des Radentscheids die Verkehrswende in Bonn einen großen Schritt vorangebracht. Bei der Umsetzung sehen wir viele richtige Maßnahmen der Ratskoalition, weil sie den Umweltverbund aus ÖPNV und Rad- und Fußverkehr voranbringen und so die Verkehrswende und den Klimaschutz stärken. 

Aktuell sehen wir aber die Gefahr, dass Sie in einem entscheidenden Punkt die Weichen in die falsche Richtung stellen. Es geht um die Neugestaltung des Bereichs zwischen City und Universität, zu der die Stadtverwaltung Lösungsvorschläge und zwei alternative Planungen in die engere Wahl gezogen hat.  Wir möchten Sie mit diesem Brief auffordern, in der Sitzung des Rates am 09.02.2023 die Variante 4 in der Vorlage der Verwaltung als Grundlage der weiteren Planung zu bestimmen. 

 Die Neugestaltung des Bereiches zwischen der Universität Bonn und der Bonner City bietet eine große Chance, historische Teile der Innenstadt neu zu entwickeln. Dabei ist die Neugestaltung gleichzeitig eines der wichtigsten mobilitätspolitischen Themen in der Stadt. Es geht darum, jetzt die Weichen dafür zu stellen, dass in Zukunft Fußgänger, Radfahrer und Busse auf dieser Strecke gut und sicher unterwegs sein können. Sie sollen sichere und einladende Straßen und Wege vorfinden. 

Die beiden Varianten für die Überplanung dieses Bereichs unterscheiden sich grundlegend. Die eine Variante (Varianten 2+) orientiert sich an städtebaulichen Erwägungen, und folgt dem Wunsch, die Fußgängerzone der City in Richtung Universitätshauptgebäude auszudehnen. Sie nimmt dabei in Kauf, dass Radfahrende, auch Schulkinder, sich ungeschützt im Bus- und Kfz-Verkehr bewegen müssen. Die andere Variante (Variante 4) hebt die verkehrliche Bedeutung der Strecke hervor und orientiert sich an der Sicherheit der Verkehrsteilnehmenden. Dabei können sich Radfahrende auf einem sicheren und einladenden Zweirichtungsradweg fortbewegen und die Busse kommen auf einem eigenen Fahrstreifen ungehindert zum Zentralen Omnibus-Bahnhof/Hauptbahnhof. 

Der Radentscheid Bonn und der ADFC Bonn/Rhein-Sieg begrüßen es, dass der Straßenzug Rathausgasse / Am Hof / Wesselstraße wie in Variante 4 vorgesehen, jetzt endlich einen sicheren Radweg, der in beide Fahrtrichtungen befahrbar ist, erhalten kann. Denn die Rathausgasse ist für den Fahrradverkehr zwischen Hauptbahnhof und Rhein die zentrale Verbindung. Auch für das Netz zwischen Bonn-Beuel, den rheinnahen Wohnbezirken auf der einen Seite und der Bonner City, der Südstadt, Poppelsdorf und der Weststadt auf der anderen Seite ist hat diese Verbindung herausragende Bedeutung. 

Wir finden es absolut unverständlich und erschreckend, dass die Grüne Ratsfraktion sich am 23.01.2023 mit großer Mehrheit gegen einen Zweirichtungsradweg und damit gegen die Sicherheit der Fahrradfahrenden auf dieser Strecke ausgesprochen hat. Stattdessen soll es nach der Mehrheitsmeinung der grünen Ratsfraktion eine Lösung geben, bei der sich Radfahrer, Busse und Individualverkehr, die in Richtung Hauptbahnhof/Kaiserplatz fahren, eine Spur teilen müssen. 

Mit dieser Entscheidung widerspricht die Grüne Ratsfraktion 

  • dem Beschluss des Radentscheides, der auf den Hauptrouten des Radverkehrs sichere vom Kfz-Verkehr getrennte, eigenständige Radwege vorsieht; Diese sollen deutlich markiert und baulich vor Befahren, Halten und Parken durch Kfz geschützt sein; 
  • dem Verkehrsentwicklungsplan für Bonn aus dem Jahr 2012, der – von den Grünen mitbeschlossen – auf der Rathausgasse eine Hauptroute des Radverkehrs sieht; 
  • den Beschlüssen aus dem Kommunalwahlprogramm der Grünen von 2021. In diesem Programm findet sich keine Forderung nach Ausweitung der Fußgängerzone, dafür jede Menge konkrete Verbesserungsvorschläge für den Radverkehr, die von der Grünen Ratsfraktion jetzt einfach ignoriert werden; 
  • den Voten der Universität Bonn, der Stadtwerke Bonn, des ADFC und des Radentscheid Bonn für die Umgestaltung der Rathausgasse. 

Auf der Strecke Rathausgasse/Am Hof fahren 60 Busse in der Stunde. Dazu kommt Lieferverkehr, der auch in Zukunft dort gewährleistet werden muss. Hinzu kommt der ausfahrende Verkehr aus der Marktgarage. Dieser Stadtraum ist ungeeignet für einen Shared Space, denn Shared Space Lösungen setzen die Gleichberechtigung alle Verkehrsteilnehmer voraus. Dafür reicht es hier jedoch nicht, wenn die gesamte Verkehrsfläche ebenerdig ohne Bordsteine, ohne Schutzeinrichtungen und ohne Markierungen gestaltet ist. Die Idee vom Shared Space ist, dass Verkehr und andere Nutzungen im Straßenraum gleichwertig nebeneinander existieren sollen. Eine große Rolle zum Funktionieren eines Shared Space spielt der Blickkontakt mit anderen Verkehrsteilnehmern. Der ist aber für Menschen mit Einschränkungen wie zum Beispiel einer Sehbeeinträchtigung, für Rollstuhlfahrer, Gehörlose, Kinder und ältere Menschen in einer Straße mit einer Busfrequenz von einem Bus je Minute auch bei einer Höchstgeschwindigkeit von 10 Stundenkilometern nicht herzustellen. Hier helfen nur regelnde Orientierungshilfen mit eindeutig zuzuordnenden Bereichen. 

Solange Bonn das Konzept des Zentralen Omnibusbahnhofs verfolgt, ist eine Verlagerung des Busverkehrs in wahrnehmbarem Umfang nicht möglich. Im Straßenzug Rathausgasse / Am Hof / Wesselstraße wird auch in Zukunft viel Verkehr bleiben. Mit einem Zweirichtungsradweg wäre dort gewährleistet, dass die Busse ohne kostspielige Zeitverluste vorankommen. Familien, die mit ihren Kindern diese Strecke mit dem Rad nutzen wollen, würden nicht vertrieben. Für Fußgänger können breite Gehwege mit attraktiven Querungen zwischen Innenstadt und Universität angeboten werden. 

Die Sicherheit der Radfahrenden und Fußgänger ist mit einem Zweirichtungsradweg dabei auch so umsetzbar, dass die historischen Gebäude der Universität enger mit der Innenstadt verbunden werden. Aufenthaltsqualität und Verbindungen sind insbesondere am Bischofsplatz, an der Fürstenstraße und am Martinsplatz so gestaltbar, dass das Straßenbild insgesamt ein „harmonisches Ganzes“ ergibt. 

Wir sehen wohl den Widerspruch in den Wahlprogrammen und dem Koalitionsvertrag. Im Koalitionsvertrag haben sich die die Koalition tragenden Parteien darauf verständigt: „Wir bringen auf den Weg: …eine Ausweitung der Fußgängerzone in der Bonner Innenstadt unter Einbeziehung der Stockenstraße, Rathausgasse, Am Hof, Am Neutor, Wesselstraße und Maximilianstraße. Die Durchfahrt von Fahrrädern und Linienverkehr sowie zu den Parkplätzen wird gewährleistet.“ … Aber es heißt dort auch:

„Der Fußverkehr ist ein wichtiger Bestandteil innerstädtischer Mobilität. Die Verkehrsplanung in Bonn soll so gestaltet werden, dass sie unterstützend für einen sicheren Fußverkehr wirkt.“ Und „Für die kommenden Jahre setzen wir auf einen starken Anstieg des Radverkehrs. Entsprechend bauen wir die Infrastruktur für den Radverkehr gezielt, nachhaltig, sicher und alltagstauglich für Jung und Alt aus.“ 

Im Kommunalwahlprogramm des grünen Kreisverbandes ist von einer Erweiterung der Fußgängerzone übrigens nicht die Rede: 

„Die Bonner Innenstadt hat viel zu bieten und lädt mit ihrer Fußgängerzone zum Verweilen, zum Austausch und zu Begegnungen ein. Wir setzen uns für eine autofreie Innenstadt bis 2025 ein. Innerhalb dieses Bereichs soll eine verkehrsberuhigte und vom KFZ-Durchgangsverkehr befreite Innenstadt entstehen.“ 

Anders dagegen im Bezirkswahlprogramm Bonn-Mitte 2020: Dort heißt es: 

„In der Innenstadt wollen wir, dass weiterhin alle Parkhäuser erreichbar bleiben. Der Hauptbahnhof und das Kurfürstliche Schloss, das heutige Uni Hauptgebäude, sind ohne störenden Autoverkehr mit der Fußgängerzone zu verbinden. Auch ist Außengastronomie dort vorstellbar. Den freigewordenen Platz wollen wir dem ÖPNV, Fuß- und Radverkehr zur Verfügung stellen und damit eine höhere Aufenthaltsqualität erreichen.“ Etwas später heißt es aber zu genau diesem Bereich: „Wir wollen den Rad- und Fußverkehr in der Südstadt, in der Weststadt und in Poppelsdorf stärken und sicherer machen. Wir wollen eine attraktive Radverbindung zwischen dem Hauptbahnhof, der Poppelsdorfer Unterführung und dem Rhein über die Rathausgasse ermöglichen.“ 

Eine Erweiterung der Fußgängerzone bis zur Universität ist sicherlich wünschenswert, sie darf aber nicht auf Kosten der Sicherheit einer Gruppe von Verkehrsteilnehmenden gehen. Eine sichere Führung des Radverkehrs vor der Universität entlastet auch die bestehende Fußgängerzone. 

Die Grünen sind eine Partei, die viel von Bürgerbeteiligung spricht. Gleichwohl hat die Ratsfraktion jetzt eine Entscheidung gegen diejenigen getroffen, die sich seit Jahren für mehr Radverkehr, mehr Lebensqualität in der Stadt aussprechen. Und gegen 28.000 Bonner Bürger*innen, die das erfolgreichste Bürgerbegehren der Bonner Geschichte, den Radentscheid, unterschrieben haben. Dies ist eine Entscheidung, die alle verkehrspsychologischen Erkenntnisse darüber ignoriert, welche Bedingungen es braucht, damit Menschen sich auf dem Fahrrad so sicher fühlen, dass sie es verstärkt nutzen. 

Wer den Umweltverbund stärken will, wer mehr Radverkehr in Bonn will, wer Menschen, die wenig Rad fahren, dazu motivieren will, mehr Rad zu fahren, wer mehr Klimaschutz durch mehr Radfahren will, der muss heute und jetzt die Bedingungen dafür auf der Rathausgasse und Am Hof beschließen. 

Wir fordern den Grünen Kreisverband, die Grüne Ratsfraktion und die Fraktion der Grünen in der Bezirksvertretung Bonn auf, in einer solch wichtigen Umsetzungsfrage die Ziele des Radentscheids nicht zu konterkarieren und sich für die von der Stadtverwaltung vorlegte Variante, die einen Zweirichtungsradweg und eine gute Lösung für den Öffentlichen Verkehr vorsieht, zu entscheiden. 

Mit freundlichen Grüßen 

gez. Gerd Billen (für den ADFC), Steffen Schneider (für den Radentscheid Bonn)

2 Kommentare

  • Sigi Casper sagt:

    Egal wie die Lösung im Detail dann aussehen wird, wichtig ist doch, dass vor der Uni in Zukunft möglichst wenig Autos fahren. Also sollte der Abbau der Rampen zur Marktplatztiefgarage absolute Priorität haben, umsetzbar durch eine neue Tiefgarage am Viktoriakarree und eine unterirdische Verbindung, wie sie ja auch schon vorgeschlagen wurde. Die Zahl der Busse kann reduziert werden, wenn man sie über die Oxfordstraße außenherum zum Busbahnhof führt, von mir aus auch durch die Thomas Mann-Straße. Ich könnte mir auch eine Zweiwege-Radweg-Verbindung Oper-Rathausgasse-Stockentor-Hofgarten-Kaiserplatz zur Poppelsdorfer Allee gut vorstellen. Das würde den Druck für die Zone „Am Hof“ etwas herausnehmen und man könnte da mehr flanieren oder so. Aber selbstverständlich muss man auch dort Rad fahren können und dürfen, zumal es da nicht so eng wie in der Friedrichstraße ist. Aber wie auch immer im Detail: der motorisierte Auto-Indiviualverkehr muss da auf jeden Fall ganz weg!

  • Anonym sagt:

    Vielen Dank für diesen offenen Brief. Shared Space mag ein gutes Konzept sein, allerdings ist es doch nicht wahllos für alle Orte geeignet. Vor dem Hintergrund der hohen Verkehrsbelastung (60 Busse pro Stunde usw.) erscheint die Straße Am Hof nicht geeignet dafür. So benötigen etwa Kinder und seheingeschränkte Menschen sensorische Orientierungshilfen und keine offene/freie geteilte Fläche.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert